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„Charles-Frédéric Brun, bekannt als der Deserteur, ist ein Mann der Höhenlagen. Er wandert zwischen den tiefer liegenden Birken hindurch bis zu den Lärchen weiter oben. Was mag er wohl gedacht haben, als mit seinem Bündel auf der Schulter im Schutz der stillen Wälder umherging? Von Haute-Nendaz aus konnte er die Ebene und ihre bequemen Strassen sehen sowie die Stadt mit ihren Steinhäusern und Glockentürmen. Vor ihm bedeckten die Reben die Hänge, wie ein prächtiges goldenes, zinnoberrotes und knallrotes Tuch, das der Herbst am Fusse der Berge gelegt hätte.

Dachte er an die Weinberge des Elsasses und an die Opulenz dessen Weindörfer? Hatte er Heimweh nach seiner Heimat, nachdem er sich in diesen Hochtälern selbst verbannt hatte?

Seine Malerseele zeichnet bereits die innere Vision, die Gesichter, die Stickereien und immer wieder Blumen. Heute befindet sich in seiner Umhängetasche viel Blau, fast kein Rot mehr und Überreste von Gelb. Das spielt keine Rolle. Er macht es sich bequem. Er braucht so wenig Platz. Er mischt die Farben, sorgfältig, feinfühlig, mit grosser Freude. Mit Geschick, mit Liebe, da er ja einen Heiligen verkörpern muss. Mit sicheren und grosszügigen Handbewegungen zeichnet er die Konturen des Bildes nach.“

MARIE HÉRITIER

Les couleurs du Désert, 2020

Wir unternehmen einen Streifzug durch das Leben von Charles-Frédéric Brun, genannt der Deserteur, ein Wandermaler aus dem 19. Jahrhundert. Es begleiten uns folgende sehr diverse Autoren:
Der Erzähler Jean-Pierre Michelet (1873-1948)
Der Schriftsteller Jean Giono (1895-1970)
Simon Tschopp und Daniel Varenne, der Zeichner und der Autor des Comics (2020)

JEAN GIONO (1895-1970)
Jean Giono wurde am 30. März 1895 in Manosque, einer kleinen Stadt in der Haute-Provence, geboren. Sein Vater, der aus dem Piemont stammte, war Schuhmacher, und seine Mutter, die aus der Picardie kam, betrieb eine Bügelstube. Giono wird in seiner Arbeit oft die Atmosphäre seiner armen und glücklichen Kindheit an der Seite seiner Eltern, die „voller Wärme und Zärtlichkeit“ waren, wiederaufleben lassen. Um seine Eltern finanziell zu unterstützen, brach er 1911 sein Studium ab und arbeitete als Bote in einer örtlichen Bank. Das Lesen wird für ihn zu einer lebensprägenden Leidenschaft, die ihn zum Schreiben führte. Im Januar 1915 wurde er eingezogen und verbrachte dreissig Monate als Funker an der Front. Er kehrte unversehrt zurück, blieb aber ein Leben lang von den Grausamkeiten gezeichnet, die er während des Grossen Krieges gesehen und erlebt hatte.

1920 heiratete Giono Élise Maurin, mit der er zwei Töchter bekam: Aline und Sylvie. 1922 veröffentlichte er in einer Zeitschrift aus Marseille seine ersten von der Antike inspirierten Prosagedichte und machte eine entscheidende Begegnung mit dem Maler und Dichter Lucien Jacques, der ihm die Türen der Pariser Literaturkreise öffnete. Seine ersten beiden 1929 veröffentlichten Romane, „Colline“ und „Un de Baumugnes“, wurden grosse Erfolge. Giono gibt seinen Job als Banker auf, um allein von seiner Schriftstellerei zu leben. „Le Chant du monde“ (Das Lied der Welt), „Que ma joie demeure“ (Bleibe, meine Freude) und „Les Vraies Richesses“ (Vom wahren Reichtum) haben einen sehr grossen Einfluss auf die Jugend der 1930er Jahre, die sich vor der Gefahr eines neuen Krieges fürchtete. Diese Generation wird Giono in seinem Kampf für den Frieden und in seinem Aufstand gegen die industrielle Gesellschaft begleiten. Zwischen 1935 und 1939 organisierte Giono auf der Hochebene von Contadour in der HauteProvence Treffen, bei denen seine Bewunderer und die Anhänger des radikalen Pazifismus zusammenkamen.

Der 2. Weltkrieg von 1939 bis 1945 stellt Giono erneut auf harte Probe: er wird 1939 für sein pazifistisches und antimilitaristisches Engagement zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Bei der Befreiung 1944 wird er wegen angeblicher Kollaboration mit der Besatzungsmacht verhaftet. Da keine Anklage gegen ihn erhoben werden konnte, wurde er nach fünf Monaten Haft entlassen. Er wurde bis 1947 mit einem Publikationsverbot belegt und kehrt nach sechs Jahren harter Arbeit, die ihm zu neuer Inspiration fürs Schreiben verhalf, in die literarische Szene zurück. Das Thema Natur trit in den Hintergrund, und seine Geschichten konzentrieren sich auf aussergewöhnliche Menschen. Er veröffentlicht eine Reihe von düster gefärbten Meisterwerken, in denen er mit ironisch-heiterer Feder von einer tragischen Menschheit im Angesicht des Bösen schildert: „Un roi sans divertissement“ (Ein König allein), „Noé, „Les Âmes fortes“ (Die starken Seelen), „Les Grands Chemins, „Le Moulin de Pologne“ (Die polnische Mühle). 1951, mit dem Erfolg von „Le Hussard sur le toit“ (Der Husar auf Dem Dach), erobert Giono seinen Platz als erster unter den grössten Schriftsteller seiner Zeit zurück. Im Jahr 1954 wird er in die Académie Goncourt aufgenommen.
Sein Werk wird abwechslungsreicher: Neben Romanen wie „Le Bonheur fou“, „Ennemonde“ und L’Iris de Suse“ verfasst Giono eine historische Erzählung, „Le Désastre de Pavie“, dazu Kurzgeschichten, zahlreiche Vorworte und  journalistische Kolumnen. Er widmet sich dem Theater und dem Kino, das ihn seit seiner Jugend fasziniert. Im Jahr 1960 führt er sogar Regie bei dem Film „Crésus“ mit dem bekannten Schauspieler Fernandel. Er stirbt am 9. Oktober 1970 in Manosque.

JACQUES MÉNY

 

 

Vorsitzende des Vereins der Freunde von Jean Giono

Der Deserteur von Jean Giono
Im Oktober 1964 bat der Lausanner Verleger und bildende Künstler René Creux Jean Giono, die Geschichte von Charles-Frédéric Brun, bekannt als „Der Deserteur“, als Einleitung zu dem Buch zu schreiben, das er über das Werk dieses „aussergewöhnlichen Kunstmalers“ herausgeben wollte. Der geheimnisvolle Künstler weckt das Interesse von Giono, also lädt er René Creux in Manosque ein. Weniger als ein Jahr später, am 19. Oktober 1965, teilt er ihm mit, dass er „der Geschichte des Deserteurs den letzten Schliff gegeben habe“ und meint dabei, er hätte „einen schönen Text“ geschrieben: „Ich habe dem Deserteur die Persönlichkeit gegeben, die er haben musste, und nach dem, was ich überprüfen konnte, die Persönlichkeit, die er tatsächlich hatte.“

Der Deserteur ist einer der letzten grossen Texte von Giono, der im Oktober 1970 starb, weniger als ein Jahr nach der Fertigstellung von seinem letzten Meisterwerk, „L’Iris de Suse“, einen Bericht über eine Desertion, der seiner Arbeit über Charles-Frédéric Brun viel zu verdanken hat. Der Deserteur weckte sofort Gionos Interesse, und zwar deshalb, weil er zu der gleichen Familie von Figuren gehörte, die schon lange seine Phantasie und sein Werk heimsuchen: Landstreicher, heilende Künstler, einsame Helden, die sich vom „das Geschäft der Welt“ entfernen und sich der Gesellschaft entziehen.

Im Gegensatz zu dem, was er gegenüber René Creux verspielt behauptete, hat Giono weder eine Woche „inkognito“ im Wallis auf den Spuren von Charles-Frédéric Brun verbracht, noch hat er seine Tochter und seinen Schwiegersohn beauftragt, über ihn nachzuforschen. Doch er hat die Fähigkeit, die Beschreibung einer Landschaft anhand von Karten und Fotos mit unzähligen genauen und ausführlichen Details zu ergänzen. René Creux hatte Giono eine reichhaltige Dokumentation zur Verfügung gestellt, darunter die „Valais 26 itinéraires“ (Wallis in 26 Entdeckungstouren) von André Beerli, die es dem Schriftsteller ermöglichten, die Biografie und das Leben des Deserteurs glaubwürdig zu erzählen und gleichzeitig aus ihm einen Romanhelden zu machen. In der Gestalt von Charles-Frédéric Brun zeichnet Giono auch sein Selbstporträt als einsamer Künstler, der sich in die Höhen seines Werkes zurückzieht.

Der Schweizer Schriftsteller Charles-François Landry irrte sich nicht, als er schrieb: „Vom ersten Blick an wusste Giono, wo sein Geschäft war, sein unersetzliches Geschäft: der Mensch übertraf deutlich den Maler in diesem inneren Abenteuer, das den Namen Der Deserteur trägt. So wichtig das Werk vom richtigen Deserteur auch sein mag, das von Giono erfundene Leben des Deserteurs ist ein um das zehnfache, zwanzigfache grösseres Werk“. „Charles-Frédéric Brun, diese „Victor-Hugo-Figur“, die „dem noch zu kommenden Roman „Les Misérables“ (die Elenden) entstammt“, wie Giono zu Beginn seiner Erzählung schreibt, ist für immer zu einer wesentlichen Figur seines Werkes geworden, einer der grössten der Literatur des 20. Jahrhunderts

Im September 1966 erschien Der Deserteur von Jean Giono, Franco Maria Ricci veröffentlichte gleich darauf den Text auf Italienisch (siehe Buchumschlag oben). Gionos Text wurde letzlich ins Italienische, ins Deutsche, ins Polnische und ins Rumänische übersetzt und erschien von 1966 bis 2009 in 17 verschiedenen Ausgaben.

JACQUES MÉNY

 

 

Vorsitzende des Vereins der Freunde von Jean Giono

DIALEKT
– A câ rë sta màta ? chi maton ? Zu wem gehört dieses Mädchen? Und dieser Junge?
– A Lucienne de Marie-Antoinette de Priïn !
Zur Lucienne der Marie-Antoinette des Cyprien.

Die Bewohner von Nendaz identifizierten sich durch ihre Eltern und Grosseltern um so ihren Platz im Familienbaum anzugeben.

Warum will ein Kunstmaler – ein Papierhandwerker – aus dem opulenten Elsass fliehen, um in den Zentralwalliser Bergen Zuflucht zu finden?

Wenn du für mehrere Tage eine Reise zu Fuss unternehmen müsstest, ohne unterwegs etwas kaufen zu können und mit nur fünf Gegenständen in deinem Rucksack, was würdest du mitnehmen?

Sentier Déserteur